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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 13.12.2002


Was sind dem Staat die Kinder wert? Verband der Alleinerziehenden kämpft seit 35 Jahren für Kinderrechte
Birgit Gerstenberger

"Ich bin kein Single". Alleinerziehende zeigen Bundesfinanzminister die rote Karte. Für ihr Engagement wurden sie jetzt in Berlin mit dem Blauen Elefant der Kinderrechte 2002 ausgezeichnet.




"Es ist eine Schande, dass Sie als Lehrerin ein uneheliches Kind haben und eine Unverschämtheit ohnegleichen, auch noch einen Verband solcher sittenloser Weiber zu gründen! Eine traurige Regierung, die solche Hurenbilder nicht entlässt". Diese frauenfeindliche Postkarte erhielt 1967 Luise Schöffel, die Gründerin des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV). Sie hatte zuvor die Bundesregierung aufgefordert, die soziale Lage lediger Mütter zu verbessern.

Das ist lange her. Damals ging es noch darum, dass auch ledige Mütter als "Familie" gelten sollten und somit auch finanzielle Ansprüche haben.
Um diese und andere Belange von Einelternfamilien, also Familien in denen ledige, getrennte, geschiedene oder verwitwete Mütter und Väter mit ihren Kindern leben, kümmert sich seit 35 Jahren der Verband alleinerziehender Mütter und Väter - VAMV.

Für sein hervorragendes Engagement erhielt der Verband am 19. November 2002 den Blauen Elefanten der Kinderrechte.
Ein mit 5000,00 Euro dotierter Preis, der durch den Ravensburger Ratgeber im Urania Verlag und dem Deutschen Kinderschutzbund e.V. verliehen wurde. Die schwere Messing-Skulptur wurde der VAMV-Bundesvorsitzenden, Edith Schwab, in der Akademie der Künste überreicht.

"Ausschlaggebend für diese besondere Auszeichnung", so der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, waren u.a. die VAMV-Kampagnen:

"Lieb und teuer"- Existenz unserer Kinder sichern"
"Was sind dem Staat die Kinder wert?" und
die Protestkartenaktion "Ich bin kein Single".

In ihrer Laudatio auf den VAMV erklärte Anne Volk, die Herausgeberin der Zeitschrift "Brigitte": "Wenn Kindererziehung Männersache wäre, hätten wir seit Jahrzehnten eine Kinderbetreuung vom Feinsten". Kinder in Deutschland werden als reines Privatvergnügen angesehen und "es ist schwer zu verstehen, warum das reiche Deutschland bei der Kinderbetreuung auf dem Niveau von Entwicklungsländern ist", so Anne Volk.
(von links nach rechts: Anne Volk, Herausgeberin der Zeitschrift "Brigitte" / Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes / Edith Schwab, Vorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter / Sabine Schubert, Geschäftsführerin der Verlagsgruppe Dornier / Maximilian Verhas, Künstler der Trophäe / Hanno Tismar, Leiterin des Blockflöten-Ensembles).


Da ist zum Beispiel Sabine, 41 Jahre, die mit ihrem 9 jährigen Sohn alleine lebt und den Lebensunterhalt verdienen muss. Die neu gebaute Grundschule bietet weder Schulstation noch verlässliche Halbtagsbetreuung. Auf einen Hortplatz hat der Sohn keinen Anspruch, da er die Vorschule nicht in der Kita absolvierte sondern in der Grundschule. Sabine muss mit viel Organisationstalent das Abholen und Betreuen des Sohnes durch Freunde und Verwandte organisieren, da sie erst nachmittags von der Arbeit nach Hause kommt.

Die Kinderbetreuung in Deutschland ist noch immer völlig unzureichend gesichert. Mit seiner Kampagne und dem Positionspapier "Kinder in guten Händen - Bildung in hellen Köpfen" setzt der VAMV genau bei diesen Problemen an. Er fordert den Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung für alle Kinder von 0 bis 16 Jahren. Kindertagesstätten sollen in das allgemeine Bildungswesen integriert werden.

Der tägliche Drahtseilakt, alles unter einen Hut zu bringen, Isolation, Angst, den (Halbtags-)Job zu verlieren, weil das Kind im Winter zum 3. Mal innerhalb weniger Wochen erkrankt ist, führt zu einer ständigen nervlichen und körperlichen Überlastung, die für Singles kaum nachvollziehbar ist.

Heute leben fast 2 Millionen alleinerziehende Mütter und Väter in der Bundesrepublik, wobei die Mütter mit 1,7 Mio. deutlich die Mehrheit bilden.
Alleinerziehende haben die schwierige Aufgabe, Kinderbetreuung und Verdienen des Lebensunterhaltes allein zu organisieren. Laut Armutsbericht sind Alleinerziehende die am stärksten von Armut betroffene Bevölkerungsgruppe.
Rund 28% der Alleinerziehenden sind auf Sozialhilfe angewiesen. (Quelle:...).

Auch die bundesweite Protestaktion "Ich bin kein Single" wird fortgesetzt. Dabei geht es um die von der Bundesregierung beschlossene Abschaffung der Steuerklasse 2. Alleinerziehende sollen künftig steuerlich wie Singles behandelt werden.
In Anbetracht der Tatsache, dass Alleinerziehende rund 50 &% weniger Geld zur Verfügung haben oder verdienen können und höhere Haushaltsführungskosten haben, ist das mehr als ein Schlag in´s Gesicht.

"Alleinerziehende leisten mit der Erziehung ihrer Kinder einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. Das darf nicht mit Steuererhöhung bestraft werden", so die VAMV-Vorsitzende, Edith Schwab.

Da die geplante Steuerreform um ein Jahr verschoben wurde, kommen die Steuerveränderungen nicht wie geplant zum Januar 2002 zum tragen, sondern erst ein Jahr später. So bleibt noch Zeit für weitere Protestaktionen. Mit der auffällig roten Karte "Ich bin kein Single" sind Alleinerziehende aufgefordert, beim Bundesfinanzminister Beschwerde einzulegen.

Wer weitere Informationen dazu wünscht,sich an der Kampagne "Ich bin kein Single!" beteiligen oder Protestpostkarten und Musterschreiben für Einspruch und Klage gegen die Reduzierung/Abschaffung der Steuerklasse II bestellen und Informationen zum Haushaltsfreibetrag bei den VAMV-Landesverbänden erhalten will, wendet sich an den:



Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V.
Beethovenallee 7 53173 Bonn
Tel. 0228/35 29 95
Fax 0228/35 29 95
www.vamv.de
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Beitrag vom 13.12.2002

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